Die Müdigkeit liegt wie ein schwerer Schleier über mir. Da kann weder der ekelige Instantkaffee, der hier als Symbol für den verheißungsvollen Westen daherkommt, noch die stark strahlende Sonne und noch viel weniger das dröhnende Vogelgezwitscher, das dem Stadtmotorenlärm Konkurrenz macht, etwas ausrichten. Heute Nacht um kurz vor vier sind wir in Jerewan gelandet.
Jerevan, 20.06.2018
Und täglich grüßt der Ararat. Sonne, Morgenluft, Vögel. Dazu gediegener Stadtlärm und selbstaufgebrühter Kaffee. Ich sitze im Hotelzimmer auf dem Fensterbrett und genieße den freien Blick auf den heiligen Berg Armeniens, der inzwischen zur Türkei gehört. Morgens vor sieben Uhr ist der Blick auf den Gipfel noch am ehesten wolkenlos und die Straße am ruhigsten. Kein Mensch ist weit und breit zu sehen, vereinzelte Autos, keine Müllabfuhr, keine Straßenreinigung und keine Schulbusse. Noch nicht. Gegen halb acht sehe ich den ersten Passanten, der gemächlich seinen Hund ausführt.
Gestern Abend, lange
nach Einbruch der Dunkelheit, war die ganze Stadt auf den Beinen.
Selbst die Jüngsten und Ältesten haben sie in die besten Kleider
gesteckt und zum Flanieren mit hinausgebracht. Das ist hier so, man
sitzt des abends auf den Plätzen. Vor dem Konzerthaus fahren Kinder
Gocart oder toben auf schreiend bunten Spielplätzen. Auf dem Platz
der Republik ringen Straßenmusiker um Beachtung und finden sie meist
bei Touristen, ein Herr lässt seine zwei Dalmatiner Kunststückchen
vorführen, an jeder Ecke gibt es Zuckerwatte und Popcorn und die
Straßen, die Bars und Cafés sind voll. Es herrscht ein geschäftiges
Treiben, obwohl jeder Einzelne nichts weiter tut als dem Moment zu
fröhnen. Ein wonnevoller Ameisenhaufen.
Wenn ich etwas von
den Armeniern lernen kann, dann wohl das erhabene Schlendern und das
Beisammensein ohne etwas zu tun. Nichts scheint in diesem Moment
wichtiger und genussvoller zu sein, als mit den Freunden auf einer
Bank zu sitzen und den Leuten dabei zu zusehen, wie sie unverhohlen
schick über den Boulevard bummeln. Es ist schon spät und der
nächste Tag ist ein ganz normaler Wochentag, aber das scheint im
Jetzt nicht wichtig. Bis dahin ist noch Zeit.
Zwischen Kaukasus und Schwarzmeerküste – Familienlandsitze und Dolmen
Im September 2018 war ich für zwei Wochen mit einer Reisegruppe unterwegs in Russland. Unser Ziel waren die Familienlandsitzsiedlung Wedrussija und die Dolmen im Kaukasus.
Im Zentrum der Familienlandsitzsiedlung Wedrussija steht eine alte Eiche. In dieser riesigen Siedlung, wo mehr als 250 Familien wohnen und im Sommer Gäste von überall her kommen, um an den Festivals teilzunehmen, tut so ein Ruhepol ziemlich gut.
Für mich ist dieser Baum Symbol für die Siedlung Wedrussija. Ich weiß, dass ich im geliebten, chaotischen, riesigen, sich ständig verändernden Wedrussija angekommen bin, wenn ich den Weg entlang laufe und hinter ihm die untergehende Sonne verabschiede.
Eine Familienlandsitzsiedlung besteht aus vielen kleinen Grundstücken, die von jeweils einer Familie gestaltet werden. Wir haben mehrere dieser Familien besucht und uns zeigen lassen, was sie in den letzten 15 Jahren so aufgebaut haben. In vielen intensiven Gesprächen, die unser Dolmetscher Eduard für uns übersetzt hat, fragten wir den Siedlern Löcher in den Bauch. Wie war das so ganz am Anfang, als hier noch Feld und Wiese war? Welche Herausforderungen stellt das Zusammenleben in einem Ökodorf? Was sind eure Träume und worauf seid ihr besonders stolz?
Manch einer der neuen Siedler hat seinen Hektar Land direkt auf dem freien Feld angefangen, mit nichts als Gras und Dornen. Andere, wie Alexey und seine Familie, hatten das Glück, ein Grundstück am Waldrand zu bekommen.
Einen ganzen Tag haben wir mit ihm verbracht, sind andächtig durch den Wald gestreift, saßen philosophierend auf der Spielwiese der Kinder, wurden von seiner Frau vorzüglich verköstigt und konnten die Harmonie seines Landsitzes genießen. Es war unglaublich ruhig dort und auch Alexey strahlte einen tiefen inneren Frieden aus.
Als wir in Wedrussija ankamen war das Festival “Two Hearts, One Melody” schon in vollem Gang. Aus entlegenen Orten Russlands kamen Gäste, um hier gemeinsam zu feiern. Viele der Siedler kamen auch zum Fest. Für sie war es eine Gelegenheit, ihre selbst gemachten Produkte zu verkaufen und mit zu feiern. Auch wenn das Fest für Singles, die einen Partner suchen, gedacht war, nahmen viele Leute einfach aus Spaß an der Freude daran teil und nicht weil sie auf der Suche waren.
Kein russisches Fest ohne Kreistänze, Chorowod genannt.
Blumenkränze und lange Röcke gehören zu einem russischen Festgewand einfach dazu! Das mag vielleicht für westliche Augen kitschig anmuten, aber dort auf der matschigen Wiese kann man sich als Frau schon mal underdressed vorkommen, wenn man weder Rock noch Blumenkranz trägt.
Der goldene Altweibersommer bescherte uns megaleckere Trauben, die wir allmorgendlich direkt vom Stock pflücken konnten.
Ich glaube, wir waren uns darüber einig, dass die beste Sorte die “Isabella” ist. Das ist eine Rebsorte aus dem Kaukasus, die uns irgendwie an Gummibärchen erinnert hat.
An einem der Festabende wurde die wedische Hochzeit aus den Anastasia-Büchern nachgespielt. Wir haben uns riesig gefreut, dass unser deutsches Paar für die Hauptrollen ausgewählt wurde. Hier begrüßen sie gerade ihre Hochzeitsgäste. Zugegebenermaßen war das ganze Spiel etwas kitschig und pathetisch. Aber was erwartet man sonst von Russland, wenn nicht dass sie das Herz auf der Zunge und in ihrem Tun haben?
Ich liebe ja Spiele über alles. Deshalb war mein Lieblingsfestivaltag der Tag, an dem wir ein großes Turnier veranstaltet haben. Alle Besucher wurden in Gruppen aufgeteilt und haben knifflige Aufgaben bekommen. Die erste Aufgabe war, einen Namen, eine Hymne und ein Motto für unser Team zu finden. Es war herzerfrischend köstlich, den Tag mit unserer lustigen Kompanie zu verbringen und von Station zu Station durch Dick und Dünn mit allen zu gehen – immer mit unserem Lied auf den Lippen und jederzeit bereit unsere Parole zuschmettern!
Kein Fliegengewicht sein und es trotzdem wagen, sich in die Arme von einer bunten Menschengruppe fallen zu lassen? Check!
Eine der Aufgaben war es, dass sich jeder (!) der Gruppe in die Arme seiner Gemeinschaft fallen lässt. Alle anderen Spiele an dem Tag waren ganz ähnlich gestrickt. Es ging um Zusammenhalt, Vertrauen und das Überkommen von eigenen (sozialen) Ängsten.
Ich hab’s geliebt und war voller Adrenalin.
Szenenwechsel. Ungefähr eine Autostunde von der Siedlung Wedrussija entfernt, liegt eine ganz junge Familienlandsitzsiedlung. Sie heißt “Lebendiges Haus” und fühlt sich mit ihren drei Jahren Bestand und 14 Familien sehr, sehr lebendig an. Die Menschen wohnen hier etwas enger zusammen und während ihre Landsitze noch in den Kinderschuhen stecken, hat sich schon ein wohliges Gemeinschaftsleben etabliert.
Extra für uns gab es eine kleine Tanzaufführung. Aljona, das Mädchen im grünen Kleid, ist Tänzerin und hat mit den anderen Frauen Tänze für ein selbstgeschriebenes Theaterstück eingeübt.
Ich habe es genossen, die Frauen zu beobachten, wie innig und herzlich sie miteinander umgingen. Sie scherzten und lachten viel. Im Winter, meinten sie, hätten sie viel Zeit für gemeinsames Singen und um ein ganzes Kulturprogramm vorzubereiten.
Nachdem wir eine Weile genüsslich zugeschaut hatten, sollten wir dann auch mal mitmachen.
Jepp, wir haben uns zum Ei gemacht. Und es hat ziemlich viel Spaß gemacht.
Ohne Alkohol oder sonst welche Drogen, die Ekstase kam auch so.
Das Superfood als Grundlage unserer Epiphanie.
Neuer Ort. Los, raus in den Wald!
Nach einer Woche in Wedrussija sind wir dann für den zweiten Teil in den Kaukasus gefahren. In den waldreichen Bergen stehen unzählige Dolmen, die wir zum Ziel unserer Wanderungen hatten.
Am Dolmen von Anastasias Urmutter.
Die Wälder des Kaukasus halten so manch einen magisch anmutenden Ort bereit.
Einer meiner Lieblingsdolmen ist der Patriarch. Er thront majestätisch auf einem kleinen Hügel mitten im Wald.
Was wäre ein Wandertag ohne ein ordentliches Picknick?
Noch einmal ein Festival. In einem Flusstal mit mehreren majestätischen Dolmen, Wald und vor allem viel, viel Platz findet jedes Jahr im September das 10tägige Festival “Wasraschdenije” (Wiedergeburt) statt. Bis zu 5000 Menschen sollen hier schon zusammen gekommen sein, um in großen Kreisen zu tanzen und zu feiern.
Händler bieten selbst geschneiderte, russische Trachten an und wir haben uns dort eingekleidet. Ich bin ja mal gespannt, ob die Sachen zuhause im Kleiderschrank verschwinden oder doch auch den Weg nach draußen finden.
Der Dolmen der Wiedergeburt thront im Zentrum des Festgeländes.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass die Organisation eines Festivals ganz schön viel Arbeit macht. Umso mehr habe ich gestaunt, wie entspannt der Gründer des Festes über den Platz lief, sein schlafendes Kind im Arm, hier und da mit Leuten im Gespräch, aber definitiv nicht nach Arbeit oder gar Stress aussehend. Da kamen einige Fragen in uns auf und wir haben einen der Hauptgestalter des Festes befragt.
Der Schetininschule in Tekos haben wir einen Besuch abgestattet. Ganz neu ist das Projekt des Deutschen Hauses. Dieses kleine Häuschen wird für Gäste aus Deutschland ausgebaut. Hier soll Deutsch unterrichtet und die deutsch-russische Freundschaft gepflegt werden.
Freiwillige Helfer aus Deutschland haben bisher einiges am Hausbau getan, aber fertig ist es noch nicht.
Nach so vielen Erlebnissen ist ein beruhigendes Lagerfeuer sehr willkommen.
Suchum ist die Hauptstadt der Republik Abchasien. Hier leben 64.500 Menschen, ungefähr halb soviel wie vor 25 Jahren. Die Kriegsspuren sind noch deutlich sichtbar und die geringe Bevölkerungsdichte spürbar. Für eine Landeshauptstadt ist Suchum ausgesprochen entspannt und beinahe leer. Der Wiederaufbau der Stadt ist in vollem Gang, wobei versucht wird die eigene kulturelle Identität zu wahren.
To Do – Liste für Suchum
1. Ans Meer gehen und baden.
Die Stadt liegt direkt am Meer und man kann direkt von Zentrum aus an den Kieselstrand zu Baden gehen. Schöner und ruhiger wird es natürlich, je weiter man die Promenade aus dem Zentrum raus läuft. Gefühlt geht der Weg unendlich weit. Die Stadt hat keinen Hafen, das einzige Schiff, das hier fährt ist ein kleiner Touristenkutter. Dadurch ist selbst am Stadtstrand beste Wasserqualität gewahrt.
2. Lost Places fotographieren.
So seltsam es klingt, aber für uns Westeuropäer, stellen die Ruinen wohl eine der größeren Sehenswürdigkeiten dar. Außerdem sprüht die Stadt mit postsowjetischem Charme und gleichzeitig der Euphorie des Aufbruchs. Ein ausgedehnter Spaziergang ohne Ziel und Weg ist also sehr zu empfehlen!
3. Kaffee trinken.
Zum Glück hält man in Abchasien noch nicht viel von Nescafé, deshalb trinkt man hier türkischen Kaffee. In kleine Kännchen mit langem Stiel wird ein Löffel feingemahlenes Kaffeepulver gegeben, dazu kaltes Wasser. Dann zieht die Barista das Kännchen durch heißen Sand. Sobald der Kaffee zu kochen beginnt, kommt er in ein kleines Tässchen. Am Ende bleibt der Satz in der Tasse und wird von so manch einer weisen Frau auch gelesen.
4. Bäume umarmen…
oder so ähnlich. Im Botanischen Garten lässt es sich wunderbar verweilen. Der Garten ist schön angelegt und lädt zum Verweilen ein. Mit einem Buch unter einem alten Baum oder auf einer Bank zwischen hohem Bambus kann man hier wunderbar in eine grüne Oase eintauchen.
5. Dem Krieg gedenken…
und den gefallenen Soldaten aus dem georgisch-abchasischen Krieg von 1992/93 Ehre erweisen. Egal, welchen Weg man für einen Stadtbummel wählt, das Denkmal der Gefallenen Soldaten am Prospekt Mira, Platz des Friedens, wird sowieso immer mit auf dem Weg liegen. Genau wie man an dem Kriegsthema bei einem Abchasienbesuch nicht vorbeikommt.
6. Ein Besuch im Museum für Abchasische Geschichte
Kann man machen, muss man aber nicht. Es reicht auch, wenn man sich den erhabenen Dolmen vor dem Museum anschaut. Das Museum zeigt die Geschichte des Landes von der Frühzeit bis zum Krieg 92/93. Es ist alles ganz schick und neu gestaltet, aber Erklärungstexte gibt es nur auf Russisch. Man muss sich also selbst einen Reim auf alles machen.
7. Einkaufen auf dem Basar
Selbst wenn man gar nichts einkaufen will, sollte man unbedingt auf den großen Markt gehen. Das ist ein Erlebnis für sich.
8. Moderne abchasische Kunst anschauen.
Die städtische Galerie hat wechselnde Ausstellungen zu verschiedenen Themen. Gleich daneben ist das Kulturzentrum SKLAD, wo es Ausstellungen und abendliche Filmvorstellungen gibt. Hier treffen sich junge Kulturschaffende der Hauptstadt. Ich fand es total spannend, dass sie am Vorabend des 3.Oktobers „Good Bye Lenin“ gezeigt haben. www.sklad.space, Ul.Lakoba 31
9. Ein Schwätzchen halten.
Die Bewohner der Stadt sind unglaublich offen und freundlich. Manchmal kommt es tatsächlich vor, dass alte Babuschkas, von denen man es nie im Leben erwartet, ein paar Worte Englisch oder Deutsch sprechen. Beide Sprachen werden in den Schulen als Wahlpflichtfach unterrichtet. Russisch spricht natürlich jeder fließend. Die allermeisten Abchasen sind an Ausländern interessiert und lieben es, ein Schwätzchen zu halten. Genau genommen, kommt man gar nicht darum herum, selbst wenn man nur Chinesisch und sonst weiter nichts sprechen würde, würden die Abchasen unbedingt eine Unterhaltung führen wollen. Manchmal hatte ich sogar schon das Gefühl, mich vor zu viel Gastfreundschaft hüten zu müssen, damit ich auch noch vor lauter Kaffeetrinken und irgendwohin eingeladen sein zu meinen eigenen Unternehmungen käme.
10. Ausflug zum Gebirgswasser.
Wenn man viel Zeit hat, lohnt sich ein Halbtagsausflug zu den Wasserfällen von Chernigovka. Es ist etwas touristisch und im Sommer von russischen Urlaubern überfüllt. Aber vor allem im Mai und Juni schwillt der kleine Gebirgsbach zu einem reißenden Fluss an und man kann sich sehr gut vorstellen, wie dieses klare Wasser sich über Jahrtausende den Weg durchs Gebirge erkämpft hat. Die schön anzusehende Schlucht, kleine Wasserfälle und Strudeltöpfe kann man in einem leichten Spaziergang (max. 30 min) erwandern. Geländer und Wege sind angelegt, sodass auch Flipfloptouristen ans Ziel kommen. Am Ende kann man abchasische Küche in schöner Natur genießen.
Entweder mietet man sich ein Taxi (ca. 1000RUB), welches dort wartet oder man schließt sich einer Exkursion an (werden zu Hauf an der Promenade angeboten). “Ассир” (Черниговка), 30km südwestlich von Suchum.
11. In heißem Schwefelwasser baden
Nicht weit von der Hauptstadt entfernt gibt es heiße Quellen, die aus dem Boden sprudeln. Für 150 RUB kann man in den recht naturbelassenen Tümpeln sitzen, im Schwefelwasser planschen und sich nach dem Bad mit Schlamm einschmieren. Die Infrastruktur der Anlage ist simpel, man sollte also gern draußen in der Natur sein.
Kyndyg, 35km von Sukhum (in Richtung Osten), oder Primorskoe, zwischen Novy Afon und Gudauta
12. Ausflug zur Kirche von Mokvi
Mein Taxifahrer erklärte mir, dass es in Abchasien nur eine “richtige“ Straße gäbe. Die E60 geht einmal längs durchs ganze Land – von der russischen bis zur georgischen Grenze. Wenn man auf ebenjener Straße ca. 60 km aus Sukhum Richtung Georgien rausfährt, und kurz vor dem Mokvi-Fluss nach links ins Hinterland abbiegt, kommt man zur Kirche von Mokvi.
Die orthodoxe Basilika stammt aus dem 10.Jahrhundert und ist in fünf Schiffe unterteilt. Von den Wandmalereien sind noch Reste erhalten.
13. Essen gehen!
Die Abchasische Küche ist großartig und in Suchum kann man sie am besten im Restaurant Nartaa, auf der Strandpromenade erleben. Von der nicht so motivierten Bedienung und den schlichten Speisekarten in russischer Sprache sollte man sich nicht abschrecken lassen.
Als ich meinen russischen Freunden von meinen Reiseplänen nach Abchasien erzählte, bekamen sie einen ganz verträumten Blick und fingen an, von ihren eigenen Urlauben in Abchasien zu schwärmen. Zu Sowjetzeiten war die kleine Republik Abchasien, die zwischen Schwarzem Meer und Kaukasusgebirge liegt, eines der beliebtesten Urlaubsziele der Russen.
Das Wasser dort ist türkisblau, die Berge hoch und majestätisch und die abchasische Küche vorzüglich! Mit diesem Bild vor Augen habe ich mir also in den Kopf gesetzt, die kleine Republik Abchasien selbst einmal zu besuchen.
Umgeben von Russland und dem Kaukasus im Norden, Georgien und ebenso Kaukasus im Südosten, sowie dem Schwarzen Meer im Westen. Bildquelle: Wikitravel
Dabei soll das weder einfach noch ungefährlich sein, wenn man aus dem westlichen Ausland kommt und vielleicht auch mal nach Georgien reisen will.
Die kleine Republik, die ungefähr halb so groß ist wie das Bundesland Thüringen, war schon lange autonom, aber in jüngerer Geschichte Teil der Sowjetrepublik Georgien – was ihr nach dem Fall des Eisernen Vorhangs zum Verhängnis wurde. Wenn ich sie im Folgenden als „Land“ bezeichne, dann ist das in den Augen der Abchasen und 5 UNO-Staaten richtig, während der Rest der Welt diesen Ausdruck als völkerrechtlich inkorrekt bezeichnen würde. Das Deutsche Auswärtige Amt bezeichnet Abchasien sogar als ein “von Georgien abtrünniges Gebiet” und rät dringend von der Einreise ab, weil es keine konsularische Vertretung vor Ort gibt. (Nichts ist reizvoller, als das Verbotene!)
In Abchasien selbst fühlt sich das ganz, ganz anders an. Hier nimmt man die eigene Staatlichkeit ernst und ist stolz darauf. Es gibt also eine Regierung, verschiedene Ämter und was man nicht alles braucht, um ein Land zu führen. Nur die ausländischen Vertretungen fehlen. Und statt ausländischen Investoren gibt es Entwicklungshilfe von Russland. Militärische Unterstützung, um die Grenze zu Georgien zu stabilisieren gibt es ebenso. Aber das sind alles Themen für sich.
Vor meiner Einreise habe ich mir ein paar Sorgen gemacht, was wohl passiert, wenn ich im nächsten Jahr nach Georgien einreisen will (denn Reiseaufträge dafür stehen schon fest) und die Georgier womöglich einen abchasischen Stempel in meinem Reisepass finden. Es ist nämlich offiziell verboten, überhaupt nach Abchasien einzureisen. Laut georgischem Gesetz drohen jedem – ob Georgier oder Ausländer – Haftstrafen. Zum Glück ist das abchasische Visum aber einfach nur ein bunter Zettel, den man aus dem Pass wieder herausnehmen kann und niemand muss je erfahren, dass ich hier gewesen bin.
Nun gibt es nicht besonders viele Informationen über das Visum, wie man es bekommt und ob das „Visa on arrival“, welches im Jahr 2017 eingeführt wurde, überhaupt funktioniert. Weil ich vor meiner Abreise ziemlich viel zu tun hatte, habe ich es gerade mal geschafft, ein Russlandvisum mit zweimaligerEinreise zu beantragen. Mehr nicht. Kein Visumsantrag für Abchasien, kein Plan, wie ich da überhaupt hinkommen würde.
Offiziell soll man auf der Seite des Auswärtigen Amtes von Abchasien ein Formular ausfüllen und bekommt dann nach 7 Werktagen die Einreisegenehmigung, muss aber trotzdem noch in Suchum zum Auswärtigen Amt, um sich das richtige Visum abzuholen. Das geht auch einfacher.
Mit dem Nachtzug der Linie 305 aus Moskau fuhr ich von Krasnodar nach Suchum. Abfahrt um 22:38 Uhr, Ankunft 10:28 Uhr. Für 1300 RUB (16 Euro) hatte ich ein Bett in der 3. Klasse. Das war schwer in Ordnung, fand ich. Aber warum ein Zug für eine Strecke von 500km ganze 12 h brauchen sollte, war mir trotzdem schleierhaft.
Ich hing also noch den ganzen Tag in Krasnodar rum, der Stadt Russlands, die ich am wenigsten mochte, und fragte mich, was die Grenzkontrollen wohl mit mir machen würden, wenn ich ohne Visum nach Abchasien einreisen würde. Im Internet las ich von Leuten, die wieder zurückgeschickt wurden und von einem Briten, der drei Tage in einem georgischen Gefängnis saß, weil er über den Grenzübergang von Georgien gegangen war. Uff, ich schickte also ein Stoßgebet gen Himmel und machte mich auf den Weg zum Bahnhof.
Im Nachtzug teilte ich mir das Abteil mit einpaar russischen Mädels und hatte eines der oberen Betten. Die Luft war furchtbar dick, weil wir die Fenster nicht öffnen konnten und einfach nicht gelüftet wurde. Also ging ich zum Atmen aufs Klo. Da stand das Fenster immer offen.
Die 3.Klasse im Nachtzug. …kannte ich ja schon von der transsibirischen Eisenbahn. Aber wie man eigentlich auf die oberen Betten kommt ohne Leiter und ohne den Gemeinschaftstisch als Trittfläche benutzen zu müssen, hab ich vergessen.
Mein Bettchen im Zug. Aufrecht sitzen war nicht möglich, Wasser aus einer Flasche trinken nur mit Verrenkungen.
Am Morgen wurde ich durch die Schaffnerin geweckt, die die Grenzkontrolle ankündigte. Wir Mädels saßen unten auf den Betten wie die Hühner auf der Stange und warteten gespannt. Einbisschen enttäuscht waren die anderen , als der Kontrolleur nur mich überprüfte, mir Fragen stellte (Wohin, warum, mit wem, wie lange …?) und meine Zeigefinger scannte. Aber es kam noch eine zweite Kontrolle von der russischen Mannschaft in den Zug, der dann alle (auch mich nochmal) überprüfte und mit den Mädels flirtete. Wir tönten ihm im Chor unser „Daswidanja“ nach, als er sich verabschiedete. An der russischen Grenze standen wir eine gute Stunde, dann fuhren wir 30min im Schritttempo und hielten an der abchasischen Grenze nochmals für eine Stunde. …daher also die 12 h für 500km!
Der abchasische Posten hatte wohl nicht so viel geschlafen, jedenfalls übersah er bei uns ein Mädchen komplett und als er mein Russlandvisum abfotographierte, fiel ihm scheinbar nicht auf, dass er ein altes von vor vier Jahren aufgeschlagen hatte. Nach meinem Abchasienvisum fragte er erst gar nicht, sondern erklärte nur, in welcher Straße von Suchum ich es besorgen sollte. Das wars. All die Aufregung wegen nichts!
Das Amtsgebäude in Abchasiens Hauptstadt
In der Hauptstadt angekommen habe ich mich auch gleich zur Ulitsa Sacharova 33 durchgefragt (ganz einfach, in der Nähe des Prospekt Mira, das Gebäude ist nicht zu übersehen) und dort in Null Komma Nichts mein Visum bekommen. Bezahlen kann man dort inzwischen vor Ort mit Kreditkarte.
Nun hab ich also fast zwei Wochen Zeit, um dieses kleine Land zu erkunden und bin schon jetzt ganz euphorisch. Es ist so wunderschön und sooo spannend! Man sieht noch die Kriegsspuren und merkt gleichzeitig, dass die wenigen Bewohner, die nach den Massakern an der georgischen Bevölkerung noch übriggeblieben sind, versuchen, das Beste aus ihrem Land zu machen. Die öffentlichen Gebäude sind schön und neu, während es gleich daneben viele Ruinen gibt. Lost places neben schönen Neubauten.
Blumenkränze und lange Röcke gehören zu einem russischen Festgewand einfach dazu! Das mag vielleicht für westliche Augen kitschig anmuten, aber dort auf der matschigen Wiese kann man sich als Frau schon mal underdressed vorkommen, wenn man weder Rock noch Blumenkranz trägt.
Als Liebhaberin der Permakultur und Kleingärtnerin, die von einem großen Landsitz träumt, finde ich das Thema „Waldgarten“ ganz besonders spannend. Just seit vorletztem Jahr gibt es dazu ein Gesellschaftsspiel von Claas Fischer, damit man spielend lernen kann.
Worum es geht
Der Begriff des Waldgarten wurde in den letzten Jahren stark von der Permakultur geprägt – wenn auch nicht erfunden. In einem Waldgarten wird das Prinzip des Mischwalds mit seinen verschiedenen Baum- und Strauchschichten, die sich gegenseitig beeinflussen, imitiert. Nun werden verschiedene Nutzhölzer von Bodendeckern, über Sträucher bis hin zu hochwachsenden Bäumen so kombiniert, dass sie sich gegenseitig helfen und gemeinsam ein starkes Ökosystem bilden.
Im Spiel soll das Anpflanzen eines Waldgartens nachvollzogen werden. Je nachdem, wieviel Mitspieler es gibt, entscheidet man sich für die Pflanzenkarten von Nordamerika, Europa oder Asien. Mit teilweise recht ausgefallenen Exemplaren baut sich jeder Spieler seinen eigenen Waldgarten auf und sammelt im Laufe von zwei Jahresläufen Punkte.
Ausgetestet
An einem langen Winterabend hab ich mich mit Viggo vom Ziegelhof an das Spiel heran getraut. Die Bedienungsanleitung ist ziemlich abschreckend, aber wir haben uns mit Lesebrille und Muße durchgeackert und es dann doch ganz gut verstanden. In den ersten Runden des Spiels haben wir noch ziemlich oft nachlesen müssen. Aber am Ende war ich ganz stolz, dass wir den Dreh raushatten und flüssig spielen konnten. Für Müßiggänger gibt es ein Erklärvideo des Autoren.
Praktisches Wissen für Waldgärtner
Je weiter wir kamen, um so mehr wurde das Spiel strategisch. Da kamen Fragen auf wie „Pflanz’ ich jetzt diese wertvolle Kirsche und gehe das Risiko ein, keine zweite Befruchterkirsche zu ergattern oder verkauf ich sie lieber?“ Genau bei diesen Strategie-Fragen hat bei mir der Lerneffekt eingesetzt. Ich weiß jetzt, dass nicht nur Süßkirschen und Haselnüsse einen zweiten Baum zum Bestäuben brauchen, sondern auch Sanddorn. Über Stickstoffverbesserer, die Zeiten von Blüte und Ernte der jeweiligen Bäume habe ich auch etwas lernen können. Außerdem hab ich eine Unmenge neuer Gehölze kennengelernt, die man alle in irgendeiner Form essen kann und die mehrjährig sind. Wir haben mit den Karten der europäischen Pflanzen gespielt und waren richtig überrascht über die Vielzahl von uns unbekannten Sträuchern. Das ist wohl auch das Faible von Claas Fischer, denn in seinem eigenen Waldgarten hat er auf einer Fläche von 1410m² ganze 162 verschiedene Gehölzsorten.
Lust auf mehr
Selbst wenn mir schon jetzt wieder ziemlich viel entfallen ist, hatte ich die Gelegenheit bei diesem Spieleabend viel zu lernen. Aber so richtig zufrieden bin ich damit nicht. Ich empfinde den Wissensinput vom Spiel eher als einen Anreiz, selbst noch mehr herauszufinden. Eigentlich hab ich nämlich zu 90% erfahren, wie wenig Pflanzen ich kenne und über sie sagen könnte. Am liebsten hätte ich zu jeder Pflanze einen kleinen Steckbrief gehabt, damit ich auch etwas mehr als nur ihre Blütezeit lerne.
Ich hab mir also vorgenommen, das Spiel demnächst nocheinmal zu spielen. Aber dann werde ich meinen Laptop anbei stehen haben, um all die unbekannten Pflanzen mal fix recherchieren zu können. Wenn es schon ein Spiel mit Lerneffekt ist, dann doch bitte richtig!
Wehmut
Und da wären wir auch schon bei meinem großen Wehmutstropfen: Es handelt sich hier vor allem um ein Lernmittel und weniger um ein Spiel. Ich jedenfalls verbinde mit einem Gesellschaftsspiel viel Spaß und rege Gefühle. Glück und Strategie, hoch pokern, tief fallen, haushoch gewinnen, Jubelrufe und Flunsch ziehen gehören für mich zu einem gelungenen Spiel dazu. Aber sowas darf man vom Waldgärtner-Spiel nicht unbedingt erwarten. Die Freude entsteht hier, wenn ich etwas Neues lerne und dann mein Wissen geschickt kombiniere.
Falls ihr nicht abgeschreckt seid und Gefallen findet an einem intellektuellen Spiel, könnt ihr "Waldgärtner" auf der Homepage von Claas Fischer erwerben: http://www.edition-essentia.de/waldgaertner.html
#1 Er wird in den Ökodörfern und auf Festivals getanzt
Wenn russische Aussteiger eine Party feiern, dann bitteschön nicht ohne Musik und Tanz. Ob bei einer kleinen Feier in einer Familienlandsitzsiedlung oder bei Russlands größtem alternativen Festival – getanzt wird immer und gern auch schon vor dem Frühstück.
Meistens ruft der Tanzmeister die Leute übers Mikro zusammen, stellt die Musik auf laut und los geht’s. Schon früher war es Tradition, dass eine Tänzerin die Leitung übernommen und bestimmte Figuren oder Schritte initiiert hat. Und so ist es auch heute geblieben. Wenn sich die Tanzbegeisterten gesammelt und zu einem großen Kreis aufgestellt haben – am liebsten Frauen und Männer im Wechsel – kann es losgehen.
#2 Man kann sich nicht zum Ei machen
Das Gute an Kreistänzen ist, dass sie simpel und schnell zu erlernen sind. Außerdem gibt es ja den Tanzmeister, der immer ansagt, was gerade dran ist. Die übliche Angst davor, sich vor versammelter Mannschaft zu blamieren, ist komplett unbegründet. Allerdings kann man sich auch nicht durch besonders hübsches Tanzen hervortun. Beim Kreistanz sind alle gleich. Und es macht Spaß, hab ich das eigentlich schon erwähnt?!
#3 Die ganze Festgemeinschaft tanzt zusammen
Hast Du mal eine Luftbildaufnahme von einem russischen Festival-Tanz gesehen? (Mein Tipp: Schau dir das Video zu #7 an). Das sieht echt beeindruckend aus, wenn 300 Leute und mehr sich als Spiralen, Kreise und Schlangen bewegen! Tatsächlich geht es in den Kreistänzen auch darum, das Gefühl der Einheit und Verbundenheit in Gemeinschaft zu spüren.
#4 Man begegnet ganz, ganz vielen Menschen
Bei so einem Kreistanz hält man meistens die Hände seiner Nachbarn rechts und links und bewegt sich als Kette. Sobald sich der Kreis einmal auflöst, vielleicht Innen- und Außenkreis gebildet, Spiralen oder sonst irgendwelche Figuren gelaufen werden, begegnet man anderen Menschen. Und zwar vielen. Man sieht sich, schaut sich an, lächelt, lacht, – was auch immer. So manch ein Schelm nutzt die Gelegenheit zum Flirten. Früher, als es noch kein Parship gab, hat man sich den Partner beim Tanzen ausgeguckt.
#5 Definitiv älter als Walzer, Foxtrott oder Ballett
Die Ursprünge des Chorowod (sprich: Charawod, von russ. Хоровод =Reigen) sind im heidnischen Russland zu suchen. Manche behaupten sogar, dass Chorowod im Altslawischen sowas wie „sich um die Sonne bewegen“ bedeutet. Demzufolge war der Tanz ein Ritual zu Ehren des Sonnengottes. Er war langsam, festlich, erhaben und begleitet von Gesang.
#6 Eine Entwicklung über viele Jahrhunderte
Durch die Christianisierung wurden die paganen Riten zwar ausgerottet, die Form des Tanzes überlebte jedoch und wurde schon bald überhaupt nicht mehr mit irgendeinem Kult assoziiert. Im Gegenteil, der Kreistanz gilt seit Langem als spielerische Unterhaltung für junge Leute. Sonntags auf den Dörfern, zum Markttag oder sonst welchen Festtagen traf man sich zum gemeinsamen Tanzen und Singen. Es heißt sogar, dass sich ein Mädchen im Festtagsgewand auf den Platz stellte, zu singen und zu tanzen begann und damit andere Jungs und Mädels einlud mitzumachen.
#7 Tanzen für den Frieden
Im letzten Sommer haben ein paar Engagierte ein großes Tanzprojekt initiiert: Хороводы мира (sprich: Chorowodi mira). Zum „Friedenstanz“ sind mehrere hundert – im russischen Fernsehen hieß es sogar 1000 – Menschen auf den Palastplatz im Zentrum von Sankt Petersburg gekommen. Bands haben gespielt und die Leute haben getanzt. Bezeichnenderweise kann man das russische Wort mira sowohl mit Frieden, als auch Welt übersetzen. Den Initiatoren war es ein Anliegen, Menschen unterschiedlicher Herkunft und Hautfarbe einzuladen. Es sollte ein Friedenstanz für die Welt sein.
#8 Ein kleines Spiel oder doch einfach nur eine bessere Polonaise?
Es gibt total verschiedene Formen und Stile des Chorowod. Nicht nur, dass von Region zu Region die Schritte, Rhythmen, das Klatschen, Aufstampfen, Kopfnicken oder was auch immer, variiert. Es gibt auch zwei grundlegend unterschiedliche Kategorien. Die eine steht für den ornamentalen Tanz, wo man Spiralen & Co tanzt. Die andere steht für das Spiel, wo mit Tanz und Gesang eine kleine Geschichte erzählt wird. Am gesellschaftsfähigsten ist natürlich der ornamentale Chorowod, weil man ohne nur einen Tanzschritt zu kennen, gleich mitmachen kann.
#9 Schon Homer hat Reigen getanzt!
Gut, Homer war kein Russe, aber trotzdem nett zu wissen. Bei den Griechen hieß der Kreistanz Chorea (ἡ χορεία hē choreía) und bestand aus Tanz plus Gesang. Unser Wort ‘Chor’ leitet sich daher ab. Manche meinen, dass der Chorowod eben auch davon abstammt, schließlich ist es auch so eine Art Chortanz.